Montag, 2. März 2009

... LANGEWEILE

Noch eine Stunde, dann kann ich den letzten Programmpunkt fuer heute abhaken...Abendessen.
Heute war mein erster Arbeitstag im Cancer Center, aber seit Dienstschluss um 16.00 zieht sich die Zeit hier wie Kaugummie. Ich habe alles was ich zum Lesen gefunden oder bei mir habe gelesen...zweimal, Fernsehen gibt es nicht und die Stadt ist gerade so weit weg, dass ich sie nicht einfach so erreichen kann.
Alle Aerzte mit denen ich den Tag ueber zu tun hatte sind zu hause bei ihren Familien, hier geblieben sind nur noch die Patienten, einige Schwestern, der Hausmeister und das Securityteam...und keiner spricht Englisch, nur einige Hindi, dafuer alle fliessend Bengali...ausser mir.
Gerade hatte ich Besuch vom Koch der Kantine und dem Kuechenjungen, mit denen ich mich gestern ein wenig angefreundet habe. Das Ritual ist das gleiche wie gestern, schuechternes Klopfen, drei oder vier Brocken Englisch, 'Hello, sir'...'picture, Tiger?'...sie schauen sich die Bilder von dem Tieger in Rantanbore an, vom Taj Mahal, einige alte Photos von Heidelberg und Paris die noch auf meinem Photo gespeichert sind, wir hoeren 'America Music' und dann versuchen sie mir Bengali beizubringen. Sie deuten auf meine Nasen...'Nack', die Augen...'Tschock', die Ohren...'Kahn'...u.s.w.
Im Austausch lernen sie Nose, Eyes, Ears...u.s.w.
Ich habe auch einen handgeschriebenen Zettel mit dem bengalischen Alphabet bekommen, das sich nicht damit begnuegt z.B. fuer die Silbe 'do' je nach Aussprache 8 verschiedene Buchstaben vorzuschreiben, nein, kombiniert man 2 Silben werden nicht beide Buchstaben einfach nur hintereinander geschrieben, sondern je nachdem ob Konsonant auf Vokal oder Konsonant auf Konsonant oder Vokal auf Konsonant oder Vokal auf Vokal folgt, verschmelzen beide Zeichen in einer bestimmten Weise, die meistens nichts mehr mit den Ausgangsbuchstaben gemeinsam hat. Ich brauche zur Zeit Minuten um ein einzelnes Wort Bengali zu lesen, an Schreiben ist nicht zu denken.

...noch 40min

Fuer alle HNO Insider noch ein paar blutige Einblicke in den begalischen OP. Ich war heute bei einer Mikro. Flex. Panendo zum Staging eines monstoesen Zungengrundkarzinoms dabei, dass fast den ganzen Oropharynx verlegt hat. Abgesehen, dass die Panendo durch die Nase durchgefuehrt wurde gab es weder was Know How noch Equipment angeht kaum Unterschiede zu Deutschland.
Im Op geht es ein wenig gemuetlicher zu und es ist fast immer Zeit fuer einen Tee und ein Plaeuschchen. Die Chirurgen machen die selben Anaesthesistenwitze und die Anaesthesisten die selben Chirurgenwitze, sodass ich mich schnell wie zuhause gefuehlt habe.
Die einzige andere OP in meinem Saal war eine ZungenspitzenCa Resektion, mit einseitiger Neck und Extraktion aller verbliebener, karioeser Zaehne im Unterkiefer und abgesehen vom Zugangsweg, einer Art halbseitigem, erweitertem Kocher-Kragenschnitt, gab es kaum Unterschiede zum Vorgehen das ich gewohnt bin. Danach war Feierabend.

Ernuechternd ist alerdings die postoperative Perspektive. Es wird naemlich zwischen einer optimalen Nachbehandlung mit R/C Therapie und regelmaessiger Vorstellung und einer realistischen Nachbehandlung unterschieden. Auch wenn die Klinik hier als 'non-Profit' Organisation fortschrittliche Medizin zu minimalen Preisen anbietet, wird sich kaum einer der Patienten die teuren Medikamente leisten koennen, die bei uns selbstverstaendlich sind. Also wird gleich ein alternativer Therapieplan entwickelt, der sich auf zum Teil uralte Chemotherapeutika stuetzt, wissend, dass man so wesentlich mehr Nebenwirkungen und wesentlich weniger Therapieerfolge in Kauf nehmen muss.
Und ich muss mich fragen, bei allem was unser eigenes Gesundheitssystem zur Zeit mehr schlecht als recht am Laufen haelt, ist das wirklich die dunkle Vergangenheit?