Donnerstag, 26. März 2009

Kurzgeschichten 2

Vieles hat sich veraendert, der Alltag wirft schon seinen Schatten voraus und auf mich warten Bewerbungen, Rechnungen, Dr. Arbeit … und trotzdem, gerade deswegen, noch einmal ein paar Geschichten aus einer schwereloseren Zeit.

Die U-Bahn ist voll, nicht voll in dem Sinne, dass kein Sitzplatz mehr vorhanden ist und die ersten Fahrgaeste im Gang stehen, nicht voll in dem Sinne, dass alle Sitzplaetze besetzt sind und der Gang dazwischen mit Leuten gefuellt ist, nicht voll in dem Sinne, dass man kaum noch einsteigen kann, nein, so voll, dass es unmoeglich ist, dass alle Fahrgaeste gleichzeitig einatmen, weil sonst der Zug auseinanderplatzen wuerde.
Ich habe einen Ellenbogen an meiner Schlaefe, meine Nase fast in der Achselhoehle eines anderen Arms, auf jedem Fuss stehen zwei weitere Fuesse, meine linke Hand hat sich einen Weg durch einen Dschungel von Leibern gebahnt bis zu einem sicheren Griff um eine der Haltestangen, denn bei jedem Bremsmanoever drueckt eine undefinierbare Masse an Baeuchen, Beinen, Armen, Koepfen gegen mich und bei jedem Stopp, wenn sich die Tueren oeffnen drohe ich einfach aus der Bahn hinauszuquellen.
Irgendwann bohrt sich eine unangenehmes, relative spitzes Etwas in meine Seite, ich schaue so gut es geht an mir herunter, erhasche einen Blick auf die Gegend um mein linkes Nierenlager und auf den Lauf einer Maschinenpistole, die genau darauf ziehlt.
Das andere Ende der Waffe haengt ueber der Schulter eines Soldaten, der mit seinen zwei Kamaraden wohl gerade auf Feierabendfahrt ist, alle drei ihre Waffen mit in der ueberfuellten U-Bahn, die Laeufe in die Menge gerichtet.
Ich gebe den sicheren Griff um die Haltestange auf, tippe ihm vorsichtig, ja nicht bedrohlich wirkend, auf die Schulter und als ich seine Aufmerksamkeit habe auf den Lauf seiner Waffe, die sich weiter in meine Seite bohrt.
Er laechelt freundlich “Oh, no, safe, safe” dann greift er in seine Tasche und zeigt mir das Magazin, dass er vorsorglich vor dem Einsteigen herausgenommen hat. Ich scheine nicht besonders beruhigt zu wirken, denn mit einer umstaendlichen Bewegung rueckt er sich gerade und die Maschinenpistole ziehlt jetzt nur noch auf meine Kniekehle.
“Which Country, you?”
“Germany”
“Oh, great country, you like India?”
“Yes, India is great”
Er laechelt noch breiter und obwohl meine letzte Aussage vollkommen der Wahrheit entspricht, haette ich mich wahrscheinlich auch nicht getraut irgend etwas anderes zu behaupten.

Ich bin in zu einem Empfang in den altehrwuerdigen Calcutta Rowing Club eingeladen.
Am Ufer der Rabindra Sarobar, in und um das Bootshaus im Kolonialstil stehen weiss gedeckte Tische, kleine Grueppchen stehen in der milden Abendbrise in ihr jeweiliges Gespraech vertieft, von der Moschee auf der Insel im See ruft der Muezin und es gibt indisches Fingerfood, Cold Drinks, und indischen Wiskey mit viel Eis.
Ich stehe bei einer Gruppe von Aerzten aus dem Cancer Center und das Thema des Abends ist Kindererziehung. Ein aelterer, distinguierter Herr fragt ausgerechnet mich, ob er seinem Enkel ein Schlagzeugset kaufen soll, obwohl dieser die vereibarten Grades in seinem Zeugnis knapp verfehlt hat.
Durch das Eis meines Wiskeyglases sehe ich das Schlagzeug vor mir, dahinter eine fantastische musikalische Karriere. “Yes of course, you should”

An einem meiner ersten, noch arbeitsfreien Tage, in der Stadt fluechte ich fuer ein paar ruhige Minuten in den Park und dort ezaehlt mir ein Schuljunge, als Ausgleich, dass er ein paar Minuten Musik von meinem I-Pod hoeren kann die Geschichte von Kali, der Goettin, deren wichtigster Schrein hier in der Stadt steht.
Kali wurde einst von Durga erschaffen (einige Geschichten sprechen auch davon, dass Kali eine Reinkarnation von Durga ist, beides wahrscheinlich kein Widerspruch) um die Erde von den Daemonen zu befreien. Also kam Kali, die kaempfende Goettin auf die Erde und nach aeonenlangen, blutigen Schlachten hatte sie alle Daemonen getoetet und ihre abgeschlagenen Koepfe in ihrer Halskette gesammelt. Was nicht abzusehen war, war das Kali nicht in der Lage war die Daemonen von den Menschen zu unterscheiden und so begann sie, nachdem alle Daemonen verschwunden waren, Jagd auf die Menschen zu machen. Erst als Shiva, geweckt vom Wehklagen der leidenden Menschheit einschritt, wurde Kali ihre Schlachtenblindheit bewusst, und sie warf sich in den Dreck vor Shiva und als Zeichen der Schahm trat ihre Zunge hervor, unfaehig ein Wort zu sprechen.
Und genauso wird Kali hier von den Indern verehrt, als die sich ewig schaehmende Goettin, mit entbloester, stummer Zunge und der Halskette aus Schaedeln als Zeichen ihres Versagens.

Ich habe den Momos Stand wieder gefunden, er ist genau gegenueber der Metrostation Rabindra Sadan, an der Ecke Bose Rd zu Chowingree Rd.

Ich war im Kino, in “the strange story of Benjamin Button” und auf dem Heimweg, nachts durch die Gassen dieser fremden, vertrauten Stadt kommt mir ein Zitat in den Sinn und ich weiss beim besten Willen nicht mehr woher es stammt.
“All das Bemuehen, all die Streitereien und enttaeuschten Erwartungen, die Kritiker und Kritiken, das ganze Theater nur, damit wir irgendwann, von Zeit zu Zeit, hingerissen das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.”